Die Annahme ist weitverbreitet, dass Artenvielfalt vor allem im Wald zu finden ist.  Biotop wird von vielen intuitiv  mit Wald gleichgesetzt.  Je mehr Wald desto besser. Wenn man dann noch jeden menschlichen Eingriff  unterlässt, wird ein Optimum an Natur erreicht.
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In seinem Buch "Wildnis. Unser Traum von unberührter Natur", Penguin. 2023, räumt  der bekannte Naturfilmer Jan Haft gründlich mit dieser Ansicht auf.  Hier ein paar Zitate:Â
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Manche Baumarten vertragen in ihrer Jugend Schatten gut, andere überhaupt nicht, was zu dem bemerkenswerten Umstand führt, dass eine Art wie die Eiche in einem durchschnittlichen Wald ohne Förster auf Dauer nicht überleben kann. (S. 13)
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In Deutschland wachsen etwas mehr als 4000 höhere Pflanzenarten wie Bäume, Wiesenblumen oder Farne. Nur 250  davon bewohnen den geschlossenen Wald. Alle anderen Pflanzen, die man im Wald antreffen kann, leben entweder am Waldrand oder auf Lichtungen. Grob 2500 Arten wachsen ausschließlich im Offenland und niemals im Wald. (S. 27/28)
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Von den mehr als 1000 heimischen Moosarten sind gerade einmal 200 im Wald zu finden. Nicht einmal die Hälfte der heimischen Großpilze lebt im Wald, wie wir ihn kennen. Nur etwa ein Sechstel unserer gut 100 heimischen Säugetierarten kann im Waldesinneren leben. Bei den rund 260 heimische Brutvögeln sind die Verhältnisse noch extremer: Nicht viel mehr als ein Zehntel der heimischen Vogelarten kann im Wald existieren und sich vermehren.  (S. 29/30)
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Von den Zweiflüglern, also Fliegen und Mücken, gibt es in Deutschland 10 000 Arten . Doch nicht einmal 300 davon sind Bewohner geschlossener Wälder. Dürftige 3 Prozent. Ganz ähnlich die Käfer. Nicht einmal ein Siebtel unserer 7000  Arten sind im Waldesinneren zu finden. (S. 34)
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Rodete man alle Wälder Deutschlands und schüfe ein reich strukturiertes Offenland, wären jene Arten, die daraufhin bei uns aussterben würden, an zwei Händen abzuzählen. (S. 33)
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Fazit: Die Mehrheit der Arten braucht Licht und Wärme und deswegen mehr oder weniger offenes Land. Viele benötigen zumindest die Möglichkeit, zwischen Wald und Offenland zu wechseln. Die aller wenigsten Arten finden ein Auskommen in einem gänzlich mit Bäumen bewachsenen Gebiet. Aber fast alle können in einem strukturreichen Offenland existieren." (S. 36)
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Soweit Jan Haft. Seiner Ansicht nach ist das Bild vom dichten Urwald als Urzustand in unserer Region falsch. Megaherbivoren,  große Pflanzenfresser, hielten Bäume und Sträucher seit Urzeiten  in Schach. Nach ihrem Aussterben sorgte der Mensch mit seinen Nutztierherden dafür, dass die halboffene Weidelandschaft weiterhin existierte. Dadurch konnte die Artenvielfalt leidlich erhalten bleiben. Stallhaltung des Viehs einerseits und  die gutgemeinte Bepflanzung jedes noch so kleinen offenen Flecks mit einem Baum  andererseits, führen heute mit dazu, dass  immer mehr Arten verschwinden.
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Von allein kommt die Natur nicht wieder ins Gleichgewicht. Der geschlossene Wald, der entstehen würde, wenn man nichts tut, wäre relativ artenarm, wie die Zahlen von Jan Haft zeigen. Gibt es keine Megaherbivoren und keine Rinder mehr,  muss der Mensch künstlich für offene und halboffene Landschaften sorgen, in dem die vielen heimischen Arten weiter ein Auskommen finden.
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Dabei wird man diese Aufgabe nicht allein den Landwirten zuschieben können, die  Blühstreifen entlang ihrer Felder anlegen.  Auch die umweltfreundliche Umgestaltung von Wohn- und Gewerbeflächen wird nicht ausreichen, um genügend Raum für Flora und Fauna des Offenlandes zu schaffen, zumal bei diesen Maßnahmen ganz überwiegend an noch mehr  Bäume gedacht wird.  Um einen gewissen  Ausgleich zwischen Wald- und Offenlandbiotopen zu schaffen wird der beträchtliche kommunale Waldbesitz selbst mit herangezogen werden müssen
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Der Stadtwald hat ca. 3300 Hektar. Davon sind 283 Hektar als Waldbiotope ausgewiesen. Die Förster bemühen sich sehr um die Waldlandschaft mit "Waldrefugien" und "Habitatgruppen". Dagegen  beträgt die aktuelle Offenland-Biotopfläche in Heidelberg   nur  31 Hektar; Schutzstatus haben verloren 6 Hektar; wurden zu Waldfläche 8 Hektar (Quelle www.lubw.baden-wuerttemberg.de/natur-und-landschaft/ergebnisse).
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Natürlich ist klar, dass auch tiefer Wald zum  natürlichen  Bewuchs in einem Mittelgebirge wie dem Odenwald gehört. Man wird  kein Offenland wie in der Rheinebene aus ihm machen. Aber Halboffenland, das es hier ursprünglich einmal gab, könnte doch an vielen Stellen  im Stadtwald verwirklicht werden. Es gibt Bereiche, an denen die Artenvielfalt explodieren könnte, etwa durch Offenhalten und Vernetzen der Blockhalden oder durch mehr Lichtungen, die man für Besucher schafft, um zu verweilen oder eine Aussicht zu genießen.
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Jan Haft schreibt: "Zwar laufe ich ausgesprochen gerne durch einen alten Mischwald voller Buchen, Tannen und Eiben. Doch die meisten und schönsten Funde mache ich seit jeher in Landschaften, in denen die Bäume so weit auseinander stehen, dass nicht nur die Baumkronen, sondern auch der Boden in den Lücken dazwischen vom Sonnenlicht beschienen wird." (S. 22) Das wäre doch ein einfaches Kriterium zur die Förderung von  Biodiversität, das man bei der Stadtentwicklung 2035 anwenden könnte: Es gibt viel Boden zwischen den Bäumen, der vom Sonnenlicht beschienen wird. Übrigens nicht nur im Wald, sondern auch in der Stadt.